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Die Zeit - ein Faktor, der sich hinzieht

Immer wieder stoße ich bei Recherchen rund um die Ausbildung der Pferde und im Leben mit den Pferden (und natürlich nicht nur hier) auf das Thema „Zeit“.

Ein erster Gedanke dazu

Zur Einführung in diese Thematik hier ein Gedanke, den ich 2004 im Rahmen eines Briefwechsels mit einem Freund notiert habe:

„Die Woche ist schon wieder fast zu Ende, die Tage vergehen wie im Flug - je älter man wird, desto schneller verrinnt die Zeit.“ heißt es. Doch warum ist das eigentlich so?

Dinah Avni-Babad und Ilana Ritov von der Hebrew University in Jerusalem sind der Frage nachgegangen. Sie konnten in mehreren Studien zeigen, dass Zeit, die man mit Routinetätigkeiten verbringt, kürzer erscheint als Zeitspannen, in denen viel Neues passiert (Psychology Today, 6/2004). Routine könne man sich als eine gerade Linie im Gedächtnis vorstellen, während neue Erlebnisse „Zacken“ und Umwege verursachten, erklärt Avni-Babad. In der Gleichförmigkeit des Alltags geschieht vieles automatisch, an bestimmte Aktivitäten kann man sich kaum erinnern. Welche Socken habe ich an? Wem bin ich auf der Weg zur Arbeit begegnet? Ungewohnte Erfahrungen hingegen bleiben im Gedächtnis haften. Entsprechend erscheint die Zeitspanne bei ereignisreichen Tagen länger: Man erinnert sich nicht an eine einzelne Begebenheit, nämlich „die Routine“, sondern eine Fülle neuer Eindrücke. Je älter man wird, desto mehr Lebenserfahrung hat man - und desto weniger Ereignisse sind neu und unbekannt. Der Alltag erscheint als Nulllinie in unserer Erinnerung. Wer also die Zeit „anhalten“ will, kann sich immer wieder neuen Erfahrungen aussetzen: „Rüttle dein Leben wach“, empfiehlt Dinah Avni-Babad.

Die vergangene Zeit„ ist also die Summe der neuen, erinnerbaren Erfahrungen. Um Zeit nicht rasen zu lassen, sind neue Eindrücke von Nutzen.

Die Zeit beim Pferd

Das die schönste Zeit jeden Tages, diejenige ist, welche wir Pferdenarren mit dem Pferd verbringen, das kann man jeden Tag im sozialen Netzwerk nachlesen. Wie groß und bedeutend der Faktor Zeit aber für alle Tätigkeiten mit und am Pferd ist, ist den wenigsten bewusst. Hier mal ein paar Einheiten:

1/10 Sekunde (eine Zehntelsekunde)

Das ist die Zeitspanne, welche grob geschätzt, ein Pferd benötigt um seine Muskulatur in Bewegungsbereitschaft zu versetzen. Bei uns Menschen „Schrecksekunde“ genannt (was wohlwollend ausgedrückt ist, denn die dauert oft viel länger als eine Sekunde) ist das die Zeitspanne vom Erfassen einer Information durch die verfügbaren Sensoren (Ohren, Nase, Augen, Haut, Hufe) bis zur Auslösung einer körperlichen Reaktion (Ausschlagen, Wegspringen, Beißen etc.). unser erhebliches Manko in dieser Beziehung macht es dringend erforderlich im Umgang mit dem Pferd stets Voraus zu Denken. Vorsorge und Weitsicht können hier verhindern, das wir das Nachsehen haben. Uns muss bewusst sein, das die Pferde 10 mal schneller sind in ihren Reaktionen um mit ihnen adäquat umgehen zu können. Die Schrecksekunde - die Pferde sind schon wieder beim Grasen, wenn uns bewusst wird, was genau vorgegangen ist!

Die kurze Reaktionszeit spielt auch in der Ausbildung der Pferde eine sehr große Rolle. An menschliche (also längere) Zeitspannen der Reaktion gewöhnt, nehmen wir oft die schnelle (und zugegeben oftmals minimale) Reaktion der Pferde auf unsere Aufforderungen kaum wahr. Beim Lernen ist das Belohnen der Actio des Pferdes dann extrem mangelhaft, weil wir diese schlicht nicht wahrnehmen. Das Pferd hat auf unserer Körpersprache oder Hilfe oftmals schon mit einem Lösungsversuch (auch „Try“ genannt) geantwortet, den wir (falls er richtig war) nicht belobigen.

Ein großer Fehler, denn was nun kommt ist meist eine Spirale von Ungerechtigkeiten gegenüber dem Pferd und den dazu passenden Reaktionen des Pferdes. Das dennoch viele Trainingseinheiten positiv enden, liegt einerseits an der unerschütterlichen Gutmütigkeit des Tieres und seiner Freude an Mitarbeit, andererseits daran, dass natürlich auch falsche Reaktionen nicht gesehen und von uns entsprechend nicht geahndet werden. Das ist dann eine kleine Laune der Natur, dass wir hier belohnt werden für unsere Ausgeglichenheit und eine positive Ausbildungsmethode (die aber in Wirklichkeit in diesem Fall nur in unserem Unvermögen begründet liegt).

Hat man jedoch die Zusammenhänge erfast, sind die Ergebnisse sehr erstaunlich und manchmal tritt man mit seinem vierbeinigen Partner in eine völlig neue Lernwelt.

Zur Erläuterung: In meinem Verständnis von positiver Ausbildung werden alle Versuche des Tieres auf meine Hilfen zu reagieren belobigt oder - falls falsch - einfach ignoriert.

3 Sekunden

Lernzeit

Wie vielen ja schon bekannt sein wird, ist die Zeitspanne für richtiges und effizientes Loben beim Pferd ca. bei maximal 3 Sekunden nach dem Ereignis. In der Praxis heißt das, das meine Aufmerksamkeit beim Pferd sein muss, um richtiges (also gewünschtes) Verhalten sofort adäquat loben zu können. Das so angebrachte Lob verstärkt das Verhalten positiv und regt das Tier zu Wiederholung an (dazu mehr im Kapitel 7 „Verhaltenslehre und Verhaltenstraining“). Strafen (von mir nicht gewollt) müssen - so nötig - auch in diesem Zeitraum erfolgen, sonst kann sie das Tier dem entsprechenden Verhalten nicht mehr zuordnen.

Ein Beispiel für die Bedeutung der Zeitspanne: Ein Pferd wird longiert und schafft zum ersten Mal einen wundervollen Stopp draußen an der Longe. Der begeisterte Besitzer macht sich auf den Weg das Pferd zu loben und muss auf dem Weg zum Tier vorschriftsmäßig seine Peitsche unter dem Arm verstauen und die Longe korrekt aufnehmen. Bis er bei seinem Pferd ankam, hat sich dieses bereits dem Besitzer zugewendet (sprichwörtlich). Das nun ausgesprochene Lob (ob als Streicheleinheit, mit einem Leckerli oder stimmlich ausgedrückt) kommt beim Pferd gut an, bestärkt aber nicht mehr den Stopp sondern die Wendung. Ist es ein schnell lernendes Pferd, wird der nächste Stopp gleich mit einer Wendung zum Longenhalter abgeschlossen. Ist es ein langsam lernender Mensch, wird er in Zukunft die Longe nicht mehr korrekt aufnehmen oder das Pferd strafen oder das Loben einstellen oder ähnliches. Wie man das vermeiden kann? Man muss sich überlegen, wie man in diesem Fall (und in allen Fällen, bei denen das Pferd etwas weiter weg ist oder ein schnelles, präzises Lob nötig ist) loben kann, ohne Zeit zu verlieren. Eine Möglichkeit ist das Klickertraining, welches genau solche Fälle sehr gut abgedeckt. Aber man kann auch sehr gut seine eigenen Stimmkommandos für Lob beim Pferd etablieren. Oft und immer gleich nur für den Zweck des Lobes eingesetzt, je nach Pferd mit Streicheleinheiten oder/und Leckerlis unterfüttert (wie passend), interpretieren Pferde so ein Wort (bald das Lieblingswort) sehr gut als Lob. Am besten sind dazu tief gesprochene Wörter mit vielen Vokalen geeignet, da sie gleichzeitig beruhigen und keinesfalls das zu lobende Pferd zu Aktivitäten aufstacheln (z. B. soll Stillstand gelobt werden, dann ist ein begeistertes, hohes Lobgeschrei der Garant für ein weiterlaufendes Pferd ;o) Im englischen deshalb oft „Good Boy“ oder „Good Girl“ oder auch ein „Braaav“ oder „Guuut“.

Zurück zur Zeit: Es ist keine Zeitverschwendung so viel wie möglich zu loben. Oftmals hadern Ausbilder mit der Langsamkeit solcher Ausbildungsmethoden. Die Erfahrung zeigt aber, dass man die so investierte Zeit im Laufe der Ausbildung leicht wieder hereinholt. Die Lektionen sitzen besser, das Arbeiten macht mehr Spaß und die Pferde sind entspannter und lernbereiter. Problematisch ist einzig, das wir Menschen oft einfach zu langsam sind…

Taktzeit

Auch im Bewegungsablauf spielt der 3 Sekunden Takt eine sehr große Rolle. Noch nicht ganz erforscht aber in diversen Zusammenhängen schon gut nachweisbar, ziehen sich die 3 Sekunden durch unser Leben und das der Vierbeiner.

Wie Prof. Dr. Ernst Pöppel schrieb, ist es eine “…Tatsache, dass sich in vielen verschiedenen Bereichen unseres Erlebens immer wieder ein gleiches Zeitintervall von etwa drei Sekunden aufspüren lässt…„ was für ihn darauf deutet, dass in unserem Gehirn ein elementarer Mechanismus wirkt, der überall gestaltend eingreift. So sind in Musik und Dichtung Regelmäßigkeiten in der Dauer gefunden worden, die diese Schlüsse zulassen. Pöppel: „In Untersuchungen über Gedichte verschiedener Sprachen wurde herausgefunden, dass gesprochene Verszeilen bis zu drei Sekunden betragen. Ganz unabhängig von der gesprochenen Sprache scheint hier ein universelles Zeitphänomen vorzuliegen, an das sich, ohne sich dessen bewusst zu sein, Dichter aller Sprachen gehalten haben… Es wäre leicht, Gedichtzeilen von längerer Dauer zu schreiben. Wenn dies tatsächlich geschieht…legt der Sprecher in der Zeile automatisch eine Pause ein…auch viele musikalische Motive weisen eine zeitliche Obergrenze von etwa drei Sekunden auf.“ Pöppel nennt diese zeitliche Begrenztheit der Aufnahme „zentralen Integrationsmechanismus“ und es ist anzunehmen, dass auch Tiere so „funktionieren“ In jedem Fall gelingt es oftmals Lerninhalte - verpackt in 3 Sekundenintervalle - besser zu verinnerlichen. Versuche doch mal einen geplanten Lerninhalt, z. B. einen Stopp, einen Übergang oder einen fliegenden Galoppwechsel im Dreisatz durchzuführen:

Zum Stopp z. B. über 1. halbe Parade 2. alle Hilfen zum Stopp gleichzeitig geben 3. nach vollzogenem Stopp alle Hilfen zurücknehmen und entspannen (je nach Reitweise auch den Zügel fallen lassen). Bei jedem Punkt im Rythmus mitsprechen: „und 1 und 2 und 3“. Manche „verfahrene“ Situation kann so zum Erfolg geführt werden. Man lernt ganz nebenbei die präzise Hilfengebung und das Pferd wird wach und aufmerksam.

10 Minuten

Aufteilung der einzelnen Trainingseinheiten

20 Minuten

maximale Dauer von Konditions- und Trainingsinhalten

1 Stunde

pro Woche Quality Time pro Woche für etwas gänzlich Neues pro Woche nichts tun

Eine Ewigkeit

sollte es dauern, aber es dauert nur ein Leben lang

die_zeit.1510062108.txt.gz · Zuletzt geändert: 2017/11/07 14:41 von andreasweingarten

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